Welt der Beziehungen

Beziehungen sind wichtig. Beziehungen zu anderen Menschen. Jede Beziehung zwischen zwei Menschen ist einzigartig. Zumindest, sofern ich das bei meinen erinnere.

Allerdings und das nur am Rande, weil dieser Punkt hier vielleicht gar nicht so wichtig ist; eigentlich bin ich ein totaler Einzelgänger. „Eigenbrötler“. Das sagt man so leicht daher – aber jetzt hab ich mal nachgeschlagen, was dieses Wort eigentlich bedeutet, dort im Duden steht:

“Eigenbrötler – Person, die sich absondert und anderen in ihrem Verhalten merkwürdig erscheint.“

Ja, doch. Da ist viel von mir drin! Seit ich denken kann schon. Meine MS mag diese Wirkung noch ein wenig verstärken. Aber das auch nur, weil viele Menschen einfach erstmal mit Unsicherheit reagieren, wenn jemand am Gehstock oder im Rollstuhl um die Ecke kommt und etwas angestrengt dreinschaut (weil es einfach total anstrengend ist), was viele mit Grimmigkeit verwechseln.

Und ja, durchaus, ich sondere mich oft ab. Bestimmt. Ich bin gern allein. So ist das.

Trotz alledem: die Beziehung zu Menschen ist mir wichtig und entscheidend für mein Leben. Auch das, nie anders gewesen. Wir Menschen sind so.

Meine MS hat ja viel für mich verändert. Äußerlich an mir verändert, genau so, wie in mir drin. Überhaupt kann ich sagen, die Bedeutung meiner MS ist für mich gar nicht „Krankheit“ – sondern „Veränderung“.

Und so verändert meine MS eben auch meine Beziehungen zu anderen Menschen.

Vor einiger Zeit, ist schon länger her, habe ich hier darüber geschrieben, wie Freundschaften – also Beziehungen – von der Tatsache beeinflusst werden, dass ich nun meine MS habe. Kurzum – Freunde „verflüchtigen sich“.

In meiner Welt der Anklage und meiner inneren Bockigkeit habe ich das dann so gesehen: Sie kommen nicht zurecht damit. Sie können nicht damit umgehen. Sie sind zu schwach. Für sie ist das alles zu unbequem. Für sie irgendwie alles nicht schick.

In meiner Welt der Selbstzweifel sah das dann so aus: So, wie ich jetzt bin, bin ich ja auch eine Zumutung. Ich bin so ja auch nicht mehr umgänglich. Ich bin ihnen zu schwach. Zu unbequem bin ich. Nicht mehr schick.

Heute sehe ich das aus einer anderen, einer dritten Perspektive.

In meiner Welt der Beziehungen sehe ich es nämlich so: Viele Beziehungen zwischen mir und anderen Menschen haben den Veränderungen, die meine MS mit sich bringt, nicht standgehalten. Die Beziehungen waren nicht stark genug, haben uns nicht fest verbunden. Schwache Beziehungen.

Es ist für sich schon eine bittere Erkenntnis, wenn Bekannte und Freunde, die du jahrelang irgendwie an deiner Seite gedacht hast, auf einmal weg sind.

Aber diese dritte Perspektive – die Beziehung war schwach, und eben nicht ich, und auch nicht der oder die andere – diese Perspektive, das Verständnis dafür, macht den Unterschied. #zuvielekommata

Das Gefühl von Enttäuschung vom anderen ist nicht mehr.

Das Gefühl meiner eigenen Unzulänglichkeit ist nicht mehr.

Keiner von uns ist es, der nicht mehr genügt. Keiner, der zu schwach ist und nicht stark genug. Niemand von uns hat Schuld.

Vielmehr sehe ich nun:

Es geht nicht um dich, es geht nicht um mich. Es ist die Beziehung zwischen dir und mir. Die hat für dies hier – nicht getaugt.

13 Antworten auf “Welt der Beziehungen”

  1. ich finde mich da sehr wieder, Farouk. Altwerden ist nämlich auch nichts anderes als eine schwierige Veränderung, von der manche Jüngere lieber Abstand nehmen. Was sollen sie mit einem alten Menschen? Er hört schlecht, er ist langsamer, schneller müde, geht am Stock, versteht so manche ihrer Leidenschaften nicht. Und ich: was soll ich mit einem Menschen, der damit nicht klarkommt und nicht nehmen mag, was ich überhaupt erst als alter Mensch anzubieten habe? Also ziehe ich mich zurück, also kommen weniger Menschen zu mir, also sterben viele Beziehungen ab. Das ist einerseits traurig und auch ein wenig erschreckend, andererseits verständlich und sogar unvermeidlich. Liebe Grüße!

    Gefällt 3 Personen

    1. Deinen Kommentar habe ich schon gestern gelesen und er hat mich sehr berührt und ich habe viel darüber nachgedacht. „…der nicht nehmen mag, was ich überhaupt erst als alter Mensch zu bieten habe.“ Ja, Du hast Recht, Gerda. So klar habe ich es noch nie gesehen; das Altwerden selbst ist eine Veränderung, die die Beziehungen in alle Richtungen verändert, bis hin zum Erliegen. …so ist es vielleicht mit allen großen Veränderungen.

      Kleine Aufheiterung an dieser Stelle :) ==> Einer meiner Lieblingssprüche ist: „youth is wasted on the young“ – da ist so viel drin, finde ich! (nebenbei bemerkt, ich komm‘ mir dann und wann ja auch schon seeehr alt vor….)
      Liebe Grüße

      Gefällt 1 Person

      1. Wie du schon schreibst, Beziehungen kommen ins wanken, wenn große Veränderungen ein Leben plötzlich berühren, starke Beziehugen halten das aus, schwache leider nicht.

        Was heißt „leider“ – vielleicht ist es auch ein Segen. Ich kann es postiv oder negativ betrachten.

        Liebe Grüße Tete

        Gefällt 1 Person

  2. Men Handycap ist zwar ein anderes, aber Deine Erfahrung mit anderen erlebe ich auch. Kompliment! Du hast das Problem sauber abgearbeitet und eine kluge Erklärung gefunden. Wir sollten den Velust von Illusionen als Positivum empfinden. Sie sind die Kosmetika für das Leben. Grüße! Roland

    Gefällt 1 Person

    1. „Kosmetika für das Leben“ – das find ich sehr gut auf einen interessanten Punkt gebracht von Dir: wir „schminken uns ab“, was wir selbst oder andere uns „vorgemacht“ haben und kommen so zu mehr Klarheit und Ehrlichkeit im Leben.

      Vielen Dank für Dein Lob!
      Herzliche Grüße, Farouk

      Gefällt 1 Person

      1. Hallo Farouk! Kosmatika für das Leben – ich bin selbst von mir begeistert! Beweist es doch, dass ich auch in hohem Alter so ganz gelegentlich einen lichten Moment habe- Ein Rilke werde ich nie, dafür reicht es einfach nicht. Ich verfüge über die Poesie eines kanadischen Holzfällers nach der elften Flasche Bier.
        Herzlichen Gruß! Roland

        Gefällt 1 Person

  3. Gut gesprochen.
    Nur einen Punkt würde ich noch einfügen …
    Gerade in der Not erkennst du jene, die wahre Freunde sind. „Schönwetterfreunde“ gibt es wie Sand am Meer, die wahren Juwelen jedoch bleiben dir oder kommen zu dir zurück, wenn du sie wirklich brauchst.
    Das Beziehungsgeflecht ist kompliziert, Freund zu sein heißt auch Verantwortung für den anderen (mit) zu tragen und das schaffen heute viele nicht mehr.

    Umso wichtiger ist es jene Freunde zu hegen, die da sind, wenn sie gebraucht werden.

    Durch dein MS entwickelst du eine Reife, die dir gut steht!

    Gefällt 1 Person

  4. Hallo Farouk!
    Ich habe nochmal kurz bei Dir reingeschaut. Dabei bin ich doch glatt über die gescheiterten Freundschaften gestolpert. Es ist so: Nichts von den Kommentaren ist falsch. Aber es fehlt ein wichtiger Grund für die Trennung von Bekannten. Ich nenne sie nicht Freunde. Ein Psychiater erklärte, es brauche 20 Bekanntschaften, um einen echten Freund zu finden. Aber das nur nebenbei.
    Nein, ein Grund für das Ausklinken von Bekannten ist einfach Verunsicherung. Es ist eine Art Schüchternheit, wie kleine Männer sie gegenüber starken Frauen zu spüren bekommen. Man ist nicht auf den Umgang mit Schwerkranken geübt, fürchtet eigenes Fehlverhalten, wagt nicht, Witze zu reissen, kurz: Die Unbefangenheit geht verloren. Und in diesem Zustand fühlt man sich ausgesprochen unwohl. Die Folge: Rückzug.
    Ich sage: Die sind auch irgendwie krank. Nur anders als ich.
    Gruß Roland

    Gefällt 1 Person

    1. Hallo Roland,
      da hast Du mich jetzt sehr zum Nachdenken gebracht…ich erkenne da sehr viel wieder an meinen eigenen Beobachtungen, tatsächlich. Ich habe oft den Eindruck gehabt, dass dieser Rückzug aus einer Unsicherheit (fast Angst) heraus erfolgt, sich falsch zu verhalten, etwas Falsches zu sagen usw. „Es gibt einfach Menschen, die können das einfach nicht“, sagte ich dann immer zu mir im Innern.
      Deinen Vergleich mit der „Schüchternheit, wie kleine Männer sie vor starken Frauen zu spüren bekommen“ finde ich noch treffender (und sehr amüsant obendrein!:))
      Ja, so ist das wohl mit den Bekannten, die einmal Freunde werden sollten. Bei der von Dir genannten Quote, 20 Bekannte für einen gewordenen Freund, kann ich ja zu mir selbst sagen, „da ist meine Ausbeute ja gar nicht mal so schlecht…“
      Herzliche Grüße! :)
      Farouk

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu Roland Risch Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..