Die Willkür der Krankheit

Seit Tagen, sagen wir Wochen, läuft’s bei mir nicht gut. Ich merkte das erst an extremen Stimmungstiefs. Alles trist und eintönig. Und doch anstrengend und überfordernd. Inhaltlos und leer und doch alles viel zu viel.

Depression? Das ich dafür überhaupt keine Gründe oder Ursachen finden könnte, würde man mich fragen, muss ich sicher gar nicht dazu sagen. Ich bin ja glücklich in meinem Leben, so wie es ist, mit allem was ich hab’ und allen, die da sind. Aber so ist das dann. Du kannst es nicht erklären, es geht dir einfach schlecht.

Im Laufe der letzten Woche hat sich dann alles weiter zugespitzt. Das körperliche, nämlich, ist dazu gekommen. Immer häufiger konnte ich beim Gehen mein Gleichgewicht nicht halten. Schwankte immer mehr von links nach rechts, fand den nächsten Schritt nicht, stolperte oft.

Immer weniger Zeit konnte ich stehend in der Küche beim Kochen verbringen, immer häufiger musste ich mich zwischendurch setzen. Meine Fußgänge zur Bushaltestelle fast schon als gefährlich zu bezeichnen, so unsicher ich mich im Straßenverkehr bewegte.

Aber alles so subtil und einfach nicht laut und deutlich genug. Nämlich genau so dosiert, dass ich nicht einzuordnen wusste, sind das jetzt einfach die längerfristigen Folgen der Schädigung in meinem Nervensystem durch vergangene Entzündungen? Oder ist das etwas Akutes? Entzündungsherde, die jetzt gerade aktiv sind? Das ist oft schwer zu unterscheiden für mich.

Aber dann kam er, mein persönlicher „Indikator“ für einen MS-Schub: Taubheit in den Fingerspitzen. Das war am Wochenende, also kein Arzt, zu dem ich hätte gehen können (bzw. wollen) – naja, und vielleicht würde das ja auch wieder vorbeigehen, vielleicht ja nur eine kleine vorübergehende Durchblutungsgeschichte oder so.

Natürlich nicht. Es geht weiter, weiter voran. In den Händen keine Beweglichkeit mehr. Auf der Tastatur auf meinem Laptop teilweise nur noch mit zwei Fingern, weil ich sie einfach nicht mehr unabhängig von einander und flüssig bewegen kann. Besonders blöd, wenn du das für den Job brauchst.

Und wenn das dann so weit ist, dann hab’ ich Angst. Kalte Angst. Und muss mich bremsen – beim weiter voraus Denken – an die Zukunft. Und dann macht der Griff zu meiner Gitarre, die mich doch immer so beruhigt, wenn ich mal gedanklichen Ausgleich brauche, mich nur noch panischer. Wenn ich sie nicht mal mehr richtig halten kann, geschweige denn ein paar schöne Akkorde filigran zupfen – das’ dann eher nur schrabbel schrabbel.

Im Leben geht’s mir gut, gut wie noch nie zuvor. Und was meine MS angeht, hab’ ich gar nicht mehr so dran gedacht seit einiger Zeit, alles gut, unauffällig, ich lebe damit, ich bin ok.

Aber dann knallt sie mir dann doch wieder eins vor den Latz. Willkür? Antwort? Auf doch wieder zu viel, das ich mir Aufbürde? Und zu wenig, das ich mir erlaube?

Naja. Nach dem letzten Gitarrenspiel ist für mich alles klar. Termine absagen, Anruf beim Doc, am nächsten Morgen hin, Infusion, Kortison. Hoffen, dass es hilft, rasch. Und hoffen, dass nicht viel zu viel „kaputt“ gegangen ist, keine neuen Nervenareale in Gehirn und Rückenmark zugrunde gegangen sind.

Der nächste Morgen – das ist jetzt.

28 Antworten auf “Die Willkür der Krankheit”

  1. Lieber Farouk,

    Alles Gute für den Arztbesuch!

    Irgendwie gemein, wenn die Gitarre dich nicht beruhigen kann, weil deine Hände dir nicht richtig gehorchen und sich seltsam anfühlen.
    Und Gedanken wie „ich werde nie wieder Gitarre spielen können“ kommen einem in dem Schreckmoment sicher auch kurz in den Kopf oder?

    Aber vielleicht kann es dir genau daher als persönlicher Indikator dienen, weil es dir zu wichtig ist, es zu ignorieren.

    Ich wünsche auf jeden Fall alles Gute!
    Kiira

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    1. Danke, liebe Kiira, für Deine aufmunternden Worte!
      Ja, da hast Du Recht, alles, was mit meinen Händen zu tun hat, ist für mich ein besonders deutlicher Indikator, weil es mir so wichtig ist, solche Dinge zu tun wie Gitarre zu spielen, oder Texte zu tippen oder zu kochen, solche Dinge halt. Nicht mehr Laufen können, ist oder wäre eine Sache, aber nicht mehr mit meinen Händen umgehen zu können…das löst schon ganz andere Gedanken und Ängste in mir aus…
      …aber gut, so ist das jetzt erstmal…und mein Arztbesuch war ja auch erfolgreich, weitgehend, meine Hände „laufen“ ja wieder.
      Sehr liebe Grüße an Dich :)

      Farouk

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  2. Gefällt mir: Dein Text. Gefällt mir nicht: dass es Dir so geht wie es geht. Im Leben geht’s Dir gut, schreibst Du. Du nimmst Deine Krankheit an. Trotzdem wirst Du besorgt sein. Du musst Dich von vielen Dingen verabschieden. Du weißt nicht, wie es weiter geht. Dass die Stimmung mitunter in den Keller geht, finde ich absolut verständlich und nachvollziehbar. Die Krankheit zehrt und verbraucht viel Kraft. Du brauchst viel Zeit und Geduld, um Deinen Energiespeicher wieder zu füllen. Ich schicke Dir liebe Grüße! Regine

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    1. Danke, liebe Regine, für Deine Gedanken. Ja, es ist so, Du bringst es auf wichtige Punkte, einerseits nehme ich die Krankheit an und hadere oder klage (fast) überhaupt nicht, warum ich sie habe („warum ich“ usw.) – aber Zeit und Geduld, brauche ich dennoch mehr, als ich bisher hatte. Wer weiß, wie viel Zeit noch und wer weiß, wie lange meine Geduld weiterhin noch wachsen kann. Was mir Mut macht, ist, dass ich (zumindest in meiner Selbstwahrnehmung) immer schon ein eher geduldiger Mensch bin, und dass ich einigermaßen gut und gründlich im Lernen bin, allerdings auch wirklich sehr langsam! (…was schon in meinem Zeugnis der 3. Klasse Grundschule geschrieben steht: „Farouk erledigt die Aufgaben sorgfältig, aber bedächtig.“ – nun, da habe ich nie groß mich verändert, würd‘ ich sagen… :D
      Und ja, auf meinen Energiespeicher muss ich auf jeden Fall acht geben, mehr und mehr…
      Viele liebe Grüße an Dich!
      Farouk

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      1. Hallo Farouk, jetzt lache ich gerade still vor mich hin😂 „sorgfältig, aber bedächtig!“ Hier hat das „aber“ eine große Bedeutung. Sorgfältig und bedächtig hört sich gleich ganz anders an, oder? In einem Zeugnis stand bei mir: Regine könnte mehr leisten, wenn sie wollte. Diese Aussage hat mich geprägt. Bis heute frage ich mich ab und zu: Sollte ich nicht mehr leisten und geleistet haben? Bin und war ich zu faul? Jetzt, mit 67 und mit Polyarthrose, sage ich mir: Nein. Ich soll jetzt gar nichts mehr. Das ist sehr entlastend. Liebe Grüße aus dem Wendland! Regine

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      2. Oh Mann… 😆 …also, manchmal weiß ich’s ja nicht, aber ich finde es unglaublich, was Lehrer*innen alles „anrichten“ mit den Kindern, die sie ihre Schüler nennen. Ich könnte ganze Bücher füllen mit Erlebnissen, die ich in meiner Schulzeit hatte, die mein Leben erstaunlich tief beeinträchtigt haben, aufgrund einer kleinen Bemerkung, einer Geste, einer Notiz im Zeugnis usw. Ich finde es sehr traurig, dass viele Lehrer sich ihrer Verantwortung gar nicht bewusst zu sein scheinen…oh ein weites Thema.…naja, heut‘ kann ich darüber lachen 🤪

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      3. Ich bin zu Zeiten der „schwarzen Pädagogik“ groß geworden. Schrecklich.
        Ich war selbst Lehrerin und weiß, dass ich im Laufe der Jahre selbst auch so einiges angerichtet habe, obwohl ich sehr engagiert und auf das Wohl der SchülerInnen bedacht war. Übrigens auch als Mutter, aber das ist ein anderes Thema. Ich weiß auch, dass sich ganz viel in der Pädagogik getan hat und die meisten LehrerInnen, die ich kenne, sich heutzutage ihrer Verantwortung durchaus sehr bewusst sind. Wir Menschen können trotzdem nicht alles perfekt und richtig machen.
        Das Schulsystem mit dem frühzeitigen „Aussortieren“ gehört meiner Meinung nach allerdings gehörig neu gedacht und gemacht. Liebe Grüße! Regine

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  3. Ich habe mir auch schwer getan den Like-Button zu drücken; aber ich möchte dir damit ausdrücken, dass du unglaublich kraftvoll und mutig über deine Krankheit schreibst. Zur Zeit läufts mies, das lese ich aus deinen Zeilen und ich kann das absolut gut verstehen. Alles andere wäre nicht normal. Du bist ein sehr gefühlsvoller Mensch, so „lese“ ich dich. Im besten Fall, was ich dir wünsche, ist es nur ein vorübergehendes Tief. Das spüre ich auch zur Zeit bei mir und meinem Freundeskreis. Alles was uns zur Zeit Sorgen und Kummer macht, bekommt aus irgendeinem Grund Nachdruck. Wir wissen nicht immer wieso und weshalb, in solchen Phasen versuche ich einfach nur weiterzumachen, so gut wie es geht…für heute wünsche ich dir ein paar gute Augenblicke und liebe Menschen, die dich unterstützen. Saluti Tete

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    1. Liebe Tete, ich danke Dir für Deine Worte. Es ehrt mich sehr, dass Du mich so „liest“ oder mit meinem Schreiben wahrnimmst. Und ja, manchmal ist es einfach so im Leben, dann läuft’s halt mies und alles scheint irgendwie nicht zu klappen, scheint aussichtslos usw. – und dann, so wie Du es sagst, müssen wir vielleicht einfach durchhalten, ausharren, weitermachen mit Dingen, die wir so ein bisschen automatisch weiter laufen lassen können. Hauptsache es geht weiter und wir geben nicht auf. Damit wir uns nicht die Chance nehmen, auf die besseren, glücklicheren Zeiten – die mit Sicherheit kommen werden, daran glaube ich ganz fest, so haben wir es im Leben doch immer wieder erlebt, nicht wahr……
      Cari saluti :) Farouk

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      1. Caro Farouk, genau das meine ich, wenns nicht läuft einfach weitermachen… 😉 es kommen wieder gute Zeiten 😃…. nichts ist für die Ewigkeit…. Vielleicht nur die Kraft, die dieses Leben für uns Menschen ermöglicht hat. Saluti Tete

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  4. Liebes, verlier den Mut nicht. Krankheiten sind was Schreckliches, aber fast niemand kommt davon. Blogs wie deiner zeigen ehrlich, wie es ist. Ich halte dir die Daumen. (Kusine MS, Mami Darmkrebs, selber COPD)

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    1. Liebes,
      Danke, dass Du das hier so offen in meinem Blog lässt, Dein Vertrauen weiß ich sehr zu schätzen. Ja, wie Du es sagst, Krankheit ist schrecklich – und doch so sehr Normalität. Wir bekommen das irgendwie nur sehr selten beigebracht, wie wir im Guten damit umgehen können. Lieber wegschieben, verdrängen, verschwiegen dulden. Krankheit macht schwach – und schwach sein ist nicht so schick. Wir sind da ja ziemlich stumpf geprägt…naja…manche von uns……
      Schönes Wochenende Dir :)

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  5. Ich wünsche auf jeden Fall rasche Besserung. Aus meiner Erfahrung vielleicht noch eins – ich habe mich sehr lange mit diesen „grundlosen“ Depressionen gequält, weil ich mir wie Du immer wieder gesagt habe, dass es keinen Grund gibt. Seit ich bereit bin, meine aus dme Gleichgewicht geratene Hirnchemie mit Tabletten zu unterstützen geht es mir richtig gut und ich habe mehr Kraft dafür zu leben.

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    1. Vielen Dank für Deine guten Wünsche und für Deine Erfahrungen. Das ist sicher ein Thema, mit dem ich mich auch immer wieder auseinandersetze (und auch schon die eine oder andere Erfahrung gemacht habe, mehr oder weniger gute). Aber, ja, es macht Sinn und es ist gut, wenn man auch diesen Weg der Unterstützung für sich findet. Es freut mich sehr, dass es Dir damit so viel besser geht!
      Danke für Deine Offenheit und Deinen Denkanstoß!
      Liebe Grüße an Dich

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  6. Wenn dunkle Wolken aufziehen, dann geht es natürlich auch körperlich nicht gerade bergauf. Wie wir wissen, ist das mentale Wohlbefinden genauso wichtig, wie das körperliche….wer positiv denkt, bei dem haben die Krankheiten weniger Chancen!! Das ist mal Fakt!! Aber wir sind alle kleine Unikate, jeder „tickt“ anders. Auch wenn in deinem mental-/privaten Bereich die Basics stimmen, muss du noch lang nicht zufrieden sein. Also ich denke, du bist noch immer neugierig, lebenshungrig, du gibst nicht auf…das kann manchmal auch störend wirken. Denn wenn wir zuviel erwarten,das ist oft bei mir so, dann steigt auch der Anspruch an uns/mich selbst! An die Umstände, Job, Körper, Freunde…egal, es kann alles sein! Mir geht es gerade ähnlich! Alles läuft gut, und dann kommt ein Stolperstein (ganz was normales) und ich stelle alles in Frage, dunkle Wolken ziehen auf! Aber ich muss mich fragen, wer ich bin und was ich will, muss kurz erinnern, das ich ein wunderbares UNIKAT bin!! Dann läuft es wieder rund! Du bist auch so ein Unikat, ein ganz besonderes….sei nicht so streng mit dir! Ich wünsche dir ganz viel Sonne im Herzen!!LG

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    1. Ich danke Dir sehr für Deine Mut machenden Worte! Ja, positiv bleiben und Zuversicht behalten, das sind ganz sicher die wichtigen „Fähigkeiten“, die wir Menschen brauchen. Immer – und erst recht, wenn es nicht gut läuft, oder wie Du sagst, wenn dunkle Wolken aufziehen. Und ja, tatsächlich ist das bei mir auch meist so, die „Stolpersteine“ lege ich mir meistens selbst in den Weg – in Form meiner zu hohen Ansprüche und Erwartungen an mich und mein Leben. „Töricht!“ :) – aber, wenn wir das mal begriffen haben, dann können wir vieles anders machen! Und das ist gut.
      Viele liebe Grüße!

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