Ich erinnere – besonders, wenn ich meine ersten Beiträge in meinem Blog lese und Revue passieren lasse – vieles meiner inneren Reaktion auf meine MS war geprägt von
- Erschütterung vor der Tatsache dieser chronischen Krankheit
- Nicht-Wissen über Erklärungen und Lösungen für diese Krankheit
- Verwirrung durch die vielen verschiednen Menschen und Medien, die alle mit ihrer ganz eigenen Wahrheit versuchen, Erklärungen und Lösungen anzubieten
- Angst, wie nun alles werden würde.
Jede dieser Reaktionen hat ihre Berechtigung. Und es ist heute so klar für mich, was hinter ihnen steht. Klar auch, dass all diese vier großen (und teilweise auch sehr heftigen) Reaktionen natürlicherweise passieren mussten. „Mensch, Farouk, das hätt’ste dir ja auch vorher denken können! Hätt’ste viel Zeit gespart.“
Nee, hättest du eben nicht. Denn es geht um den Prozess. Es geht um das Erleben. Es geht um das eigene Empfinden all dieser komplexen Dinge und Gefühle, die auf mich eingeprasselt sind. Es geht eben nicht um Erklärungen, die irgendein Arzt oder Guru oder altkluger „ich-hab-schon-alles-erlebt“-MS’ler parat hat und meint, dir damit den Weg in die Rettung weisen zu können.
Ich habe damals meinen Blog „MS-naiv“ benannt. Weil ich mir selbst bewusst machen wollte, dass alles, was ich schreibe, unvoreingenommen und ohne besonderes Wissen ist. Mit der Bereitschaft für Versuch und Irrtum. Spielerisch. Kindlich. Neugierig. Lernend. Eben: naiv.
Klar, heute weiß ich mehr als damals. Mehr über Multiple Sklerose. Mehr über die Funktionsweise von Nerven- und Immunsystem. Mehr über Medikamente und über das Für und Wider ihrer wirtschaftlich motivierten Hersteller. Und auch mehr über Naturheilverfahren und das Für und Wider ihrer ebenso wirtschaftlich motivierten Befürworter. Mehr über Körper, über Seele, über Psyche und all ihre Verbindungen untereinander, ihre Zusammenhänge und Widersprüche.
Heute – erlebe ich vieles mit großer Entspannung (vs. Erschütterung). Ja, heute weiß ich mehr, habe viel gelernt (vs. Nicht-Wissen). Ich lasse mich nicht mehr verunsichern (vs. Verwirrung). Und habe keine Angst – oder weiß, dass es in Ordnung ist, Angst zu haben.
Ja, ich weiß heute mehr. Aber naiv – das möchte ich bleiben.
Denn was ich gelernt habe in den viereinhalb Jahren meiner MS Geschichte:
Ich weiß nicht, was morgen ist. Und was gestern war, das ist nicht wichtig.
Und: mein Leben besteht nicht aus den Dingen, die ich mir aufgebaut habe oder die mir gegeben sind oder die mir verloren gegangen sind. Leben ist für mich, was ich jetzt spüre.
Heute ist kein Jahrestag, den ich feiere. Heute ist Jubiläum meiner Demut.
Danke, dass Du dabei bist.
Zu verspüren ist, dass es so gut ist für Dich!
Gruß von Sonja
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Schön, das du das alles mit uns teilst 😀🌸
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Das hast du schön geschrieben mit dem Prozess. Man landet ja auch nicht bei einer Leiter auf der obersten Stufe, sondern muss alle Sprossen erklimmen 😉
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Lieber Farouk, du bist ein sehr tiefgründiger Mensch, ich mag es, wie du das Leben, dein Leben anschaust…wenn ich deine Zeilen lese breitet sich in mir eine Ruhe aus, eine Zustimmung, ein Gefühl von Vertrauen und Zuversicht.
Ich wünsche dir weiterhin zauberhafte „ich spüre mich“ Momente. LG Tete
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