Neue Therapie. Erfahrungsberichte

Foto: Farouk – "Freiheit"
Foto: Farouk – „Freiheit“

Ich habe meine neue Therapie begonnen. Mit Ocrevus, so heißt das Medikament, Ocrelizumab der „Wirkstoff“.

Ich versuche mal in kurzen, eigenen Worten und ganz naiv zu erklären, wie dieser Wirkstoff funktioniert. Nur ein paar Punkte, ok?

Zunächst liegen hier ein paar Annahmen (Hypothesen) der Medizin vor:

  • Meine MS ist eine Autoimmun-Krankheit.
  • Sie bewirkt, dass bestimmte Immunzellen meine Nervenzellen beschädigen.
  • Genauer gesagt, wird die isolierende Ummantelung (die aus Myelin besteht) der Nervenbahnen meines Zentralen Nervensystems (ZNS, Gehirn und Rückenmark) „angefressen“, besser gesagt beschädigt.
  • Diese Beschädigungen der Isolationsummantelung führen dazu, dass die elektrischen Signale nicht mehr eindeutig und schnell durch die Nervenbahnen geleitet werden können. (So, wie das bei kaputten Stromkabeln wäre, weil dann ständig Kurzschlüsse und Fehlschaltungen entstehen würden.)
  • Diese fehlerhafte und verlangsamte Signalübertragung verursacht vielerlei Fehlfunktionen. Hier ein stark vereinfachtes Beispiel:
    Mein Gehirn sagt meinem rechten Bein, „bewege dich nach vorn“. Das Signal für diesen Auftrag kommt aber gar nicht oder verzögert im Bein an. Im Ergebnis kann ich nicht mehr geradeaus laufen.
    Natürlich ist das in Wirklichkeit viel komplexer und es geht auch mehr um Feinheiten. Wenn wir jetzt mal beim Gehen auf den zwei Beinen bleiben, sind es ja gerade nicht die großen Bewegungen, die mir Probleme bereiten, sondern die ganz kleinen, ultraschnellen, unbewussten. Die also, die für Balance beim Stehen und Gehen sorgen.

Nun kommt die Idee hinter der Wirkungsweise von Ocrelizumab (auch Hypothese):

  • Ocrelizumab wird gen-technisch hergestellt.
  • Ocrelizumab ist ein Antikörper, der ganz bestimmte B-Zellen (genauer: B-Lymphozyten mit einem speziellen Proteinmolekül, namentlich CD20, an der Oberfläche) erkennt und an sie andockt.
  • Durch dieses Andocken markiert der Antikörper diese speziellen B-Zellen so, als seien sie Krankheitserreger.
  • Und so, wie bei üblichen Infektionen mit Krankheitserregern, die auch mit Antikörpern markiert werden (z.B. Grippeviren, nachdem man gegen diese geimpft wurde), werden diese markierten B-Zellen von den Immunzellen (Fresszellen) zerstört.
  • Die Ocrelizumab Antikörper bewirken also, dass mein Immunsystem „denkt“, meine B-Zellen seien Krankheitserreger, die ausradiert werden müssten.
  • Und genau das passiert während der Ocrelizumab-Infusion.
  • Alle B-Lymphozyten (mit Merkmal CD20) sind nach der Ocrelizumab-Infusion weg. Aufgefressen. Kaputt. Raus aus dem Blut. Raus aus Organen, in denen sie gespeichert waren.
  • Das alles passiert in Echtzeit während der Infusion. Ocrelizumab rein ==> B-Zellen weg.
  • Weil das schon ein ganz schön tiefgreifender Prozess ist, muss die Infusion auch sehr genau kontrolliert werden. Die Tropfgeschwindigkeit wird langsam erhöht und ich bekam noch diverse Hilfsmedikamente und Kortison, die etwaige allergische Reaktionen und so etwas verhindern oder verringern. Die Infusion dauerte insgesamt knapp 5 Stunden, netto.
  • Ungefähr 6 Monate dauert es, bis der Körper die verschwundenen B-Zellen wieder neu aufgebaut hat. Darum bekomme ich nach 6 Monaten erneut eine Infusion. Und dann geht das Ganze von vorne los. Alle 6 Monate.

Ocrelizumab krempelt mein Immunsystem vollkommen um, bzw. unterdrückt es bzw. setzt es teilweise außer Kraft. Das ist gut gegen die Dinge, die meine MS in meinem Körper anrichtet. Und gleichzeitig ist es nicht gut, weil mein Immunsystem dadurch geschwächt wird und es meinen Körper gegen Viren-Infektionen nicht mehr vollumfänglich schützen kann. Das ist zu „Corona-Zeiten“ irgendwie besonders gruselig, find’ ich zumindest. Aber auch sonst nicht gerade ohne Risiken. Ernsthafte Risiken.

Aber – ich bin guter Dinge.

Sonst hätte ich diesen Weg auch nicht eingeschlagen. Ich habe meine Sachen gepackt und es geht los. Ich vertrage das Mittel soweit gut. Das bedeutet aber auch nur, dass ich bewusst keine negativen Nebenwirkungen wahrnehme. Was da im Untergrund meines Organismus passiert, kann ich ja vielleicht gar nicht spüren. Mein Gefühl sagt mir aber, dass es ok ist. Dass die Immunzellen, die an der Myelin-Ummantelung an meinen Nervenbahnen rumnagen, jetzt einfach mal eine Zeit lang Ruhe geben und mich und mein zentrales Nervensystem in Ruhe lassen.

Alles Weitere – also entzündungshemmende Ernährung, Bewegung, kein Stress – behalte ich bei. Weil ich mein Inneres und meinen Körper entlasten und gleichzeitig stärken möchte. Weil ich mich besser damit fühle.

Weil ich frei sein will von dieser Krankheit.

5 Antworten auf “Neue Therapie. Erfahrungsberichte”

  1. Kompliziert hört sich das heilsame Medikament an. Heilsam ist die Hauptsache. Wünsche dir alles Gute damit und auch überhaupt! Was du schreibst, hört sich mutig und lebensbejahend an. Das ist gut!
    Gruß von Sonja

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  2. Moin Farouk

    Dein Bericht hört sich ermutigend an und ich wünsche Dir, das der eingeschlagene Weg für Dich der passende ist :)

    Vor zwei Jahren als ich mit meinem Ocrevus anfing habe ich ein Ritual entwickelt. Ich dachte, wenn ich schon mein Immunsystem drücke, muss ich etwas finden, das zusätzlich als „Security“ gegen die Erkältungsviren agiert. Ob es Zufall ist oder nicht, aber mein gebrauter Ingwer/ Zitronen/ Honig Shot hat mich nicht einmal mehr krank werden lassen nach der Infusionsgabe.
    Und so steht auch jetzt wieder eine Flasche im Kühlschrank, wo jeden Morgen zwei Schnapsgläschen von verschnabuliert werden :))))

    In diesem Sinne, ich wünsche Euch allen nur das Beste

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  3. Lieber Farouk,

    ich wünsche Dir viel Erfolg bei deiner neuen Therapie. Danke, dass Du uns an Deiner Erfahrung teilhaben lässt und für die gute Erklärung wie das Medikament wirkt. Am 15.10. bin ich dran mit meinem neuen Medikament, mal sehen wie das ist.

    Eine schöne Woche wünsche ich Dir!

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  4. Lieber Farouk,

    Vielen Dank für die Erklärung zur angenommenen Wirkungsweise deines Medikaments. Das klingt wirklich etwas gruselig. Bildlich gesprochen so, als würde man seine Haustür sperrangelweit auf lassen und hoffen, das keiner rein kommt. 😅 Auf der anderen Seite ist es super faszinierend, wie dieses Medikament wirken soll. Schon Wahnsinn, was die Medizin alles kann 😃

    Dir weiterhin alles Gute!

    Kiira

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