Ich hab’ keine Lust mehr

Foto: Farouk – "Sehnsucht"
Foto: Farouk – „Sehnsucht“

Damals mit der Agentur (Name bleibt verborgen) bei unserem damals bis dahin größten Kunden (Name bleibt verborgen). Image-trächtig! Riesen Brimborium! Vorbereitet bis auf’s letzte Quäntchen und den großen Wurf witternd – der Pitch – der große Erfolg.

Und ich? Was mache ich? Stehe im Präsentationsraum in Bonn . Powerpoint-Beamer-Präsi (die hab’ ich damals schon ohne Powerpoint, sondern mit Photoshop und exportierten Screens gemacht, weil’s einfach geiler ist, haha!) hinter mir an der der Wand. Die Herren (ja, es waren tatsächlich nur Männer) vom angebeteten potenziellen Kunden in Reihe vor mir. Die Kollegen (alles psychopathologisch auffällige New-Economy-Spinner!) neben mir. Irgendwann merke ich, spüre ich, empfinde ich: „ich hab’ keine Lust mehr.“ Und schließlich sage ich es auch, mitten in meiner Präsentation: „ich habe keine Lust mehr.“

Das war’s. Ich hatte keine Lust mehr. Kein Bock. Keine Lust mehr, mich zu verstellen, eine Rolle zu spielen. Keine Lust anderen gefallen zu müssen. Keine Lust Erfolg und Ehrgeiz hinterher zu hecheln. Keine Lust zu tun und zu machen um das Ziel zu erreichen, das nicht meins ist, nicht mir gehört, mit mir nichts zu tun hat.

Ergebnis: „Pitch nicht gemacht.“ Klar, vielleicht sowieso nicht. Wir waren klein, der Kunde riesengroß. Aber wir waren gut (find’ ich). Doch nach dem Auftritt so oder so: kein Auftrag. Kein Erfolg. Ziel verfehlt. Und das so kurz vor Schluss.

Echt jetzt? Ja. Und ich bin stolz darauf. Und ich weiß, ich bin milder geworden, weicher, toleranter. Sowas würde ich heute (seit einigen Jahren schon nicht) nicht mehr machen. Das gehört ja zum „Erwachsensein“ dazu. Verantwortung übernehmen und tragen. Bisschen mehr nach Plan und mit Vernunft, bitteschön. Das innere Feuer und den jugendlichen Leichtsinn etwas zügeln.

Aber es wäre toll! In meinem Herzen bin ich immer noch genau so. „Was wollt ihr von mir?“ „Ihr mit eurer besch… Show.“ „Spielt euer Spiel. Aber ich – ich hab’ keine Lust mehr.“

Und was da in meinem Herzen immer noch ist, das möchte wieder gehört werden. Da ist eine Sehnsucht, gegen alle Vernunft. Aber was ist schon Vernunft und Ratio gegen Sehnsucht und Leben.

Ich wünsche Euch allen einen guten Übergang und ein glückliches neues Jahr!

11 Antworten auf “Ich hab’ keine Lust mehr”

  1. Deine Geschichte passt so gut zu meinem Buch, welches ich gerade lese:“Neue Irre! Wir behandeln die falschen. Unser Problem sind die Normalen.“ (Manfred Lütz) Du hast schon früh erkannt, wie irre der Zeitgeist sein kann und Dich auf Deinen eigenen Weg gemacht. Darüber freue ich mich, denn ohne das gäbe es Deinen Blog nicht!
    Komm gut ins neue Jahr! Regine

    Gefällt 3 Personen

      1. Du hast es für Dich erkannt, als die Zeit dazu gekommen war. Früher ging nicht. Diesem Wissen habe ich leider erst sehr spät geglaubt und mich jahrelang mit völlig unnötigen Selbstvorwürfen gequält.
        Das mache ich in diesem Jahr anders! Liebe Grüße 🍀! Regine

        Gefällt 1 Person

  2. Herzlichen Glückwunsch zu deiner Entscheidung und deinen Mut, „Kante“ zu zeigen. Hauptsache, du bist dir treu geblieben. Komm gut ins neue Jahr und tu ausschließlich Dinge, die dir gut tun. Punkt! Liebe Grüße Marie

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Marie, Danke! Das kann anstrengend sein mit dem Kante-Zeigen, das weißt Du sehr wahrscheinlich auch, denke ich mir. Aber ja, es fühlt sich immer wieder gut an. Werde ich so machen. Punkt! ;)
      Liebe Grüße und ein glückliches Neues Jahr für Dich!
      Farouk

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  3. „Keine Lust mehr“ – wenn so ein Gefühl überhand nimmt, sind ein Halt, ein Überdenken und ein neuer Weg angesagt. Du hast das früh verstanden. Und hast gelernt, auf das zu achten, was die innere Stimme dir sagt, Ich denke, da hast du einen Vorsprung vor so manchem von uns, der oder die sich von einem Weg nur schwer trennt, selbst wenn die Richtung schon lange nicht mehr stimmt.
    Mögen sich für dich immer gangbare Wege öffnen! Liebe Grüße! Gerda

    Gefällt 2 Personen

  4. Ehrlich? Ich zieh den Hut vor dir!
    DAS trauen sich nur ganz wenige!
    EIn verlorener Auftrag – was solls, es gibt andere. Ein gewonnenes Gefühl – einmalig!

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